Kindheit in anderen Kulturen
vonDie Plan-Aktionsgruppe Köln und das Netzwerk Eine-Welt Stadt Köln veranstalteten im Rautenstrauch-Joest-Museum einen literarischen Abend zum Buch für die Stadt 2011 von Jovan Nikolic: „Weißer Rabe, schwarzes Lamm“.
In der voll besetzten Bibliothek wurden die Kindheitserinnerungen des Autors gelesen, und Lale Akgün, ehemalige Bundestagsabgeordnete und Buchautorin, Cesaire Beyel, Vorsitzender der Deutsch-Kamerunischen Gesellschaft, sowie Tienchi Martin-Liao, Vorsitzende des Unabhängigen Chinesischen PEN-Zentrums Taiwan, begaben sich zurück in ihre eigene Kindheit.
Die Moderatorin Babs Mück, eine Ethnologin aus Köln, fragte die Anwesenden bezugnehmend auf das Buch von Jovan Nikolic nach besonderen Kindheitserlebnissen, die mit ihrer spezifischen Kultur zusammenhängen, und nach Ängsten aus ihrer Kindheit.
Cesaire Beyel hatte als Kind in Kamerun während der gesamten Grundschulzeit einen französischen Freund: „Eines Nachmittags spielten wir bei ihm zu Hause mit vielen Kindern Fußball. Dann wurde er zum Abendessen gerufen und sagte uns, er müsse deshalb jetzt gehen. Wir waren mehr als erstaunt, denn in unserer Kultur schickt man niemand fort. Alle Anwesenden sind selbstverständlich zum Essen eingeladen.“
Tienchi Martin-Liao, die nach der Flucht der Mutter mit ihr und ihren fünf Geschwistern von China nach Taiwan gekommen war, schildert: „Ängste hatten wir als Kinder nur vor der Natur. Taiwan liegt auf der gleichen Rinne, wie in Japan Fukushima. Oft hatten wir Erdbeben. Meine Mutter hat ein Glas mit Wasser auf den Tisch gestellt und wenn sich dies bewegte – wir schliefen aus Angst auf dem Boden – sind wir sehr schnell hinaus gelaufen. Auch gab es den Taifun. Der ist mit hiesigen Stürmen nicht zu vergleichen. Wir haben Fenster und Türen verriegelt oder mit Brettern zugenagelt.“
Lale Akgün zu in ihren Kindheitserinnerungen: „In Köln – im Alter von 9 Jahren angekommen – verstand ich in der Schule zuerst kein Wort. Erstaunt war ich über das Beten vor und nach dem Unterricht und dass die Jungen und Mädchen auf getrennte Schulhöfe mussten. Das alles waren wir von Istanbul nicht gewohnt.“
Kindheitserinnerungen einer ganz anderen Art zeigte der Film „Schutz der Kamalari-Mädchen“ von Plan in Nepal. Plan befreit dort Kinder, die bereits mit vier Jahren in die Sklaverei verkauft werden. Durch Schule und Ausbildung bekommen die Mädchen eine neue Chance.
An diesem Nikolausabend fehlten auch Rückblicke auf gelebte Feste nicht. Für Cesare Beyel, der sagt, er sei nicht religiös, ist Weihnachten eher unbedeutend. „Aber für meine beiden Töchter feiern wir das Fest gerne.“
„Für Chinesen ist das Neujahrsfest wie Weihnachten in Europa“, meinte Tienchie Martin-Liao. „Wochenlang vorher kochte meine Mutter Enten, Schweinshaxe und zehn verschiedene Gemüse und stellte alles auf einen großen Tisch. Zu Beginn gedachten wir unserer Großeltern durch einen dreifachen Kotau. Ich habe meine Großeltern nicht gekannt, aber durch diesen Beginn des Neujahrsfestes fühlte ich mich mit ihnen eng verbunden. Danach aßen wir wochenlang die herrlichsten Köstlichkeiten.“
Lale Akgün nahm die Anwesenden mit auf eine Reise durch ihr Buch „Kebab Weihnacht“. Hierin schildert der jugendliche Türke Umut, der in Deutschland aufwächst, sein Verhältnis zu Weihnachten: „Von dieser anderen Kultur sprachen nicht nur die Deutschen, sondern auch seine Eltern und Verwandten. Auch sie sagten: „Wir haben eine andere Kultur“. Doch Umut fragte sich: Haben wir das? Und wenn ja, wo finde ich diese? Auf Hochzeitsfeiern? Im Folkloreunterricht? Was ist, wenn ich nicht tanzen mag? Was habe ich von einer Kultur, in der ich nicht leben kann, die ich nicht in mir habe, die mir nicht jeden Tag Kraft und Trost gibt?
Umut fand diese Kultur nicht mehr, nicht da, wo er aufwuchs und lebte, er fand sie auch nicht in den Ferien, wenn er in der Türkei war. Dort, wo seine Altersgenossen von Dingen sprachen, die ihn nicht wirklich interessierten, wo er Interesse heucheln musste, um dazu zu gehören. Wie arm war das denn?
Genau so arm fand er das Verhalten einiger seiner Altersgenossen, die permanent davon sprachen, wie toll und überlegen die türkische Kultur sei. Woran spürt ihr, dass die eine Kultur der anderen überlegen ist? Das wollte er oft fragen, aber er traute sich nicht, weil er fürchtete, noch mehr zum Außenseiter abgestempelt zu werden.
Manchmal auf türkischen Hochzeiten, wenn die nicht enden wollenden, ewiggleichen Lieder gespielt und dazu die ewiggleichen Tänze getanzt wurden, fragte er sich, ob das, was hier zu besichtigen war, die überlegene Kultur sei. Wo war die Heimat? Die das Gefühl der Geborgenheit, das Dazugehörigsein, des Angenommenwerdens verbreitete? – Für Umut war das die Weihnachtszeit. Weihnachten war seine selbstgebastelte Heimat.“
Bevor die Besucher mit Gedanken an ihre eigene Kindheit wieder nach Hause gingen, konnten sie sich am Plan-Stand informieren, kleine Geschenke aus dem Planshop kaufen und zu fair gehandeltem Mangosaft die selbstgebackenen „Plätzchen“ eines Plangruppenmitglieds verzehren.